Das trojanische Pferd von Bergisch Gladbach

Das trojanische Pferd von Bergisch Gladbach

Städtepartnerschaften als Safe Spaces für israelbezogenen Antisemitismus

„Der Fall Bergisch Gladbach steht sinnbildlich für das deutsche Verhältnis zu Israel. Auf der einen Seite hat man aus dem Holocaust „gelernt“, inszeniert sich als Freund Israels, und schließt Städtepartnerschaften mit israelischen Ortschaften. Nicht akzeptabel ist allerdings, wenn eine solche Verbundenheit zu Israel nicht nur verbal an der Oberfläche geschieht, sondern als Konsequenz auch zur Unterstützung der Selbstverteidigung Israels gegen eliminatorischen Antisemitismus führen soll. […] Antisemitismus gibt es laut solchen Stimmen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eigentlich nicht mehr und überhaupt ist in Deutschland nichts so schlimm wie der Antisemitismusvorwurf.“

In Bergisch Gladbach hat man Großes vor für den Nahostkonflikt: Man will „Brücken bauen“, einen Schritt hin zur Völkerverständigung gehen, einen Schritt hin zur Befriedung des Konflikts. So zumindest das Ideal des Ex-Bürgermeisters Lutz Urbach, der für seine Stadt mit etwas über 100.000 Einwohner:innen eine trilaterale Städtepartnerschaft mit Ganey Tikva in Israel und Beit Jala in den palästinensischen Autonomiegebieten bewirbt. Der als 1. Vorsitzender den Verein „Städtepartnerschaft Ganey Tikva – Bergisch Gladbach“ leitet. Und der wegen des Vorwurfs, im Rahmen einer Veranstaltung seines Städtepartnerschaftsvereins die Legitimation von Terror gegen Israel unkommentiert stehen gelassen zu haben, die Vorsitzende des nicht mit diesem Verein zu verwechselnden „Vereins zur Förderung der Städtepartnerschaft Ganey Tikva – Bergisch Gladbach“, Petra Hemming, wegen Verleumdung verklagt hat.

Nun stellt sich vielleicht zurecht die Frage, warum es zwei nahezu identisch klingende Städtepartnerschafts-Vereine im beschaulichen Bergisch Gladbach gibt und warum diese im (Rechts-)Streit miteinander sind. Um diesem Rätsel auf die Spur zu kommen, lohnt sich ein Blick in die Geschichte des Trio Infernale der Städtepartnerschaft Beit Jala – Bergisch Gladbach – Ganey Tikva. Nachdem 2011 zunächst die Partnerschaft der nordrhein-westfälischen Metropole zu ihrem palästinensischen Pendant besiegelt wurden, wurde 2013 die trilaterale Städtepartnerschaft mit einer weiteren Stadt im Nahen Osten, dem israelischen Ganey Tikva, im Stadtrat beschlossen. 2015 entstand dann der dazugehörige Städtepartnerschaftsverein, damals noch in Kooperation zwischen den beiden Vorsitzenden Petra Hemming, Axel Bolte und dem Bürgermeister Lutz Urbach. Als nach einer Veranstaltung mit Yazid Shammout und Michael Fürst eine gemeinsame Pressemitteilung der beteiligten Städtepartnerschaftsvereine und der Stadt Bergisch Gladbach veröffentlicht werden sollte und von Seiten des Ganey Tikva-Vereins darauf hingewiesen wurde, dass darin einige shoah-relativierende und schlichtweg falsche Aussagen zur israelisch-palästinensischen Geschichte enthalten seien, entzog die Stadt unter Lutz Urbach dem Verein das Mandat und veröffentlichte die Pressemitteilung – unkorrigiert. Damit nicht genug, wurde von Urbach eine „inquisitorische“ Antisemitismuskritik gerügt und gleich ein neuer Verein ins Leben gerufen, der schon angeführte Verein „Städtepartnerschaft Ganey Tikva – Bergisch Gladbach“.

Doch Lutz Urbach ist nicht nur äußerst umtriebig und aktiv bei der Gründung von Städtepartnerschaftsvereinen (er ist auch Gründungsmitglied des Städtepartnerschaftsvereins zu Beit Jala), sondern auch sehr gefühlvoll, zumindest einem Artikel der Lokalzeitung zufolge. Ihm geht es um den Menschen, stellt er vage, aber überzeugt fest. Als die Hamas am 07. Oktober die Kibbuzim an der Grenze zum Gaza überfällt und wahllos mordet, plündert und vergewaltigt, hat ihm das nach eigener Aussage in der Lokalzeitung schwer zugesetzt: „Ich war mit meinen Lieblingsmenschen, meiner Frau und meinen Kindern, an einem wunderschönen Ort. Und gleichzeitig erhielt ich diese Schreckensnachrichten. Das war ein schrecklicher Kontrast“. Einen schrecklichen Kontrast stellt nicht nur das im Artikel offensichtlich in den Vordergrund gestellte Leid der Person Urbach im Vergleich zum Leid der Israelis dar, sondern die gesamte weitere Aufmachung des Zeitungsartikels: Keine israelische oder jüdische Position kommt zur Sprache und wo Bilder der drei Partnerstädte Beit Jala, Bergisch-Gladbach und Ganey Tikva sein sollten, fehlt dem Artikel zum 07. Oktober ausgerechnet ein Foto der israelischen Stadt. Ein Flüchtigkeitsfehler, dass ausschließlich Beit Jala und Bergisch-Gladbach ohne jüdische Partnerstadt in einem Artikel zum Anschlag auf jüdisches Leben abgebildet sind? Es passt jedenfalls in eine Medienberichterstattung über die trilaterale Partnerschaft, in der die Stimmen der Mitglieder des Beit Jala-Vereins äußerst präsent sind und nicht selten durch Verharmlosung oder gar durch Reproduktion von Antisemitismus auffallen. So sah etwa BJ-Mitglied Wolf Dieter Bonnemann am 03.01.2019 in einem Leserbrief an den Kölner Stadtanzeiger die Schuld für Antisemitismus auch bei Jüdinnen und Juden, indem er schrieb: „Die Politik der israelischen Regierung seither und das Aufkommen eines neuen Antisemitismus sind nicht voneinander zu trennen.” Stephan Dekker, Vorstand des BJ-Vereins und ehemaliger Büroleiter Lutz Urbachs, verharmloste zudem das Massaker vom 7. Oktober in einem Text des KStA und führte als erstes Opfer der Hamas die Palästinenser:innen an. So schrieb er: „Die Hamas ist zu weit gegangen. Sie hat damit der palästinensischen Sache einen Bärendienst erwiesen“.

Diese Äußerungen stehen in einer Tradition des Verschließens beider Augen gegenüber der Gefahr des Antisemitismus für jüdisches Leben von Seiten des Beit Jala-Vereins. Bereits im September 2018 setzte man sich mit aller Kraft dafür ein, einen Antrag des alten Ganey Tikva-Vereins zu verhindern, in der der Stadtrat in Bergisch Gladbach dazu aufgefordert wurde, die BDS-Kampagne zu verurteilen. Eine solche Positionierung würde laut BJ-Verein „die politische Meinungsfreiheit in Bergisch Gladbach einschränken“, zudem würde die Städtepartnerschaft mit Beit Jala dadurch „in Misskredit gebracht werden“. Diese Positionierung spiegelte sich auch in einer Ende des gleichen Jahres vom BJ-Verein organisierten Veranstaltung mit Rainer Stuhlmann wider, in der dieser sich positiv auf BDS bezog, indirekt Shoa und Nakba gleichsetzte und die These aufstellte, Israel sei „wie ein Tiger, der seine Zähne in das Land schlage, um das Land wegzunehmen“. Stuhlmann ist allerdings nicht der einzige BJ-Referent, der durch ein dezidiert israelfeindliches Weltbild auffällt. Im März lud der Verein Petra Schöning für ein Seminar ein, diese begleitet darüber hinaus auch Reisen des Vereins nach Beit Jala. Schöning hatte in einem anderen Vortrag Israel vorgeworfen, keine Demokratie zu sein, und Aussagen unterstützt, die das Existenzrecht Israels infrage stellen sowie einen Boykott unterstützen. 2020 war sich der Beit Jala-Verein nicht zu schade, Teil einer Kampagne mehrerer deutsch-palästinensischer Städtepartnerschaftsvereine zu sein, in deren Aufruftext die Situation der Palästinenser:innen mit dem Polizeimord an George Floyd in den USA in einem Atemzug genannt wird. So heißt es: „I can‘t breathe…! […] Wir, die Vertreter und Vertreterinnen deutsch-palästinensischer Partnerschaftsvereine für die Kommunen Palästinas, kennen die verzweifelten Bitten unserer palästinensischen Partner, man möge ihnen Luft zum Atmen lassen.“

Im neuen Ganey Tikva-Verein Lutz Urbachs wird währenddessen die Einbindung jüdischer oder gar israelsolidarischer Personen in die Vereinsarbeit äußerst kritisch gesehen. So wurde Gaby Spronz, der unter anderem Vorträge über die Verfolgung seiner Familie im Nationalsozialismus hält, per Mail mitgeteilt, seine Mitarbeit sei generell unerwünscht. Eingeladen wurde hingegen der Israeli Yuval Ben Ami, der sich in einem offenen Brief an Lorde positiv auf BDS bezog und schrieb: „If I were an international artist and knew what I know of the occupation, I would likely boycott“. Logischerweise hatten der BJ-Verein und der neue GT-Verein auch einen gemeinsamen Stand auf dem Stadtfest von Bergisch Gladbach, auf dem neben einer großen Palästina-Flagge auch die berühmt-berüchtigten „Landraub-Karten“ zu finden waren, die durch Verzerrungen der Realität auf eine Dämonisierung Israels hinwirken und die unter anderem auch vom türkischen Präsidenten und notorischen Antisemiten Erdogan bereits auf einer Sitzung der Vereinten Nationen gezeigt wurden. Ebenfalls anwesend an diesem Stand war auch Susanne Schlösser, Mitarbeiterin der Stadtverwaltung von Bergisch Gladbach. Schlösser war bereits Mitglied im alten GT-Verein, fiel dort aber vor allem dadurch auf, dass sie zusammen mit ihrem Mann einen Antrag stellte, der vermeintliche „Tendenzen zu einer radikaleren Israel-Politik“ anprangerte und dem Verein vorwarf, er würde eine „uneindeutige Antisemitismuslatte“ anlegen. Auch explizit antisemitische Narrative wurden von Schlösser reproduziert, so warf sie unter anderem Petra Hemming und Axel Bolte vor, sie würden dadurch, dass sie „radikal und aggressiv“ gegen Antisemitismus kämpften, „Menschen verleumden und Brunnen vergiften“.

Wenngleich Lutz Urbach inzwischen nicht mehr als Bürgermeister von Bergisch Gladbach im Amt ist, so ist eine deutliche Verbesserung der Situation auch unter seinem Nachfolger Frank Stein nicht zu erwarten. Stein ist mit Urbach befreundet, führt seine Linie weiter und erkennt ausschließlich den neuen Ganey Tikva-Verein an. Und auch in der Stadtverwaltung mahlen die Mühlen weiterhin in erster Linie „israelkritisch“. Die Städtepartnerschaft mit einer israelischen und einer palästinensischen Stadt leistet dabei einen wichtigen Beitrag, Kritik von außen abzuwehren: Sie fungiert wie ein trojanisches Pferd, das Ausgewogenheit suggeriert, wo keine zu finden ist. Und sie schreibt den Beteiligten die Intention zu, auf eine Befriedung des Nahostkonflikts hinzuwirken, was bei vielen Akteur:innen zumindest angezweifelt werden kann. Der schöne Schein der Völkerverständigung scheint mit allen Mitteln bewahrt werden zu müssen, während Antisemitismus toleriert oder sogar befeuert wird. Aber zurück zum Rechtsstreit zwischen Petra Hemming und Lutz Urbach: Da sich vor Gericht durch Zeugen und Mitschriften das bewahrheitete, was Hemming Urbach vorwarf, einigten sich die beiden auf einen gerichtlichen Vergleich, dem zufolge Urbach in diesem Fall stellvertretend für den Städtepartnerschaftsverein Beit Jala und den Städtepartnerschaftsverein Ganey Tikva auf der Website der Vereine klarstellen muss, dass er die Aussage „First I will not say, maybe you say in your mind or in your vision, that Djihad is terrorist. But I will say also that Israel, they are terrorist“, die auf der Veranstaltung fiel, für inakzeptabel hält. Die Erfüllung des Vergleichs von Urbachs Seite ist allerdings bis heute nicht geschehen.

Der Fall Bergisch Gladbach steht sinnbildlich für das deutsche Verhältnis zu Israel. Auf der einen Seite hat man aus dem Holocaust „gelernt“, inszeniert sich als Freund Israels, und schließt Städtepartnerschaften mit israelischen Ortschaften. Nicht akzeptabel ist allerdings, wenn eine solche Verbundenheit zu Israel nicht nur verbal an der Oberfläche geschieht, sondern als Konsequenz auch zur Unterstützung der Selbstverteidigung Israels gegen eliminatorischen Antisemitismus führen soll. Dann distanziert man sich schnell von einer solchen „radikalen Israelpolitik“ und verteidigt seine „palästinensischen Schützlinge“ gegen etwaige Unterstellungen, es könnte unter ihnen auch Personen mit antisemitischen Einstellungen geben. Antisemitismus gibt es laut solchen Stimmen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eigentlich nicht mehr und überhaupt ist in Deutschland nichts so schlimm wie der Antisemitismusvorwurf. Und so inszenieren sich die Verantwortlichen in Bergisch Gladbach weiterhin als moralisch überlegene kritische Geister, die nett lächelnd Jüdinnen und Juden in den Rücken fallen. Damit ist niemandem geholfen. Es bleibt an engagierten Einzelpersonen und Organisationen, einen Gegenpol zu setzen und auf allen Ebenen gegen jede Form von Antisemitismus zu kämpfen.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um die überarbeitete Fassung eines zuvor am 01. August veröffentlichten Artikels.

Beitragsfoto: Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft Ganey Tikva – Bergisch Gladbach

Autor:in

  • Luca Zarbock schloss 2023 sein Bachelorstudium der Politikwissenschaft und Betriebswirtschaftslehre an der Universität Trier ab. Seitdem studiert er Demokratische Politik und Kommunikation im Master, zu seinen Forschungsschwerpunkte gehören israelbezogener und islamischer Antisemitismus sowie die Neue Rechte. Seit 2021 arbeitet er als wissenschaftliche Hilfskraft bei der Initiative Interdisziplinäre Antisemitismusforschung (IIA).

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